Die Enactments führen Atmosphären auf, in denen etwas passiert und wieder
verschwindet, weswegen Walde immer wieder an den Ort des Geschehens
zurückkehrt, um dem Verschwundenen eine Form zu geben, ohne
seine Flüchtigkeit anzutasten. Die Form ist die Zeichnung, die auf dem
Papier, an der Wand und mehr noch jene im Photo oder im Video, die sich
bemüht, wenigstens den Ort festzuhalten, an dem die verschwundenen
Akteure Spuren hinterlassen haben. Die Linie ist das Medium zur subtilen
Verschiebung von banalen, beiläufigen und abwegigen Ereignissen und
Gegenständen in „Zwischenakte" für komplexe Projektionen in Worten
und Bildern. Die Zeichnungen im eigentlichen Sinne des Wortes sind
Storyboards für mögliche Aufführungen von Erlebniszuständen zwischen
Wirklichkeit und Halluzination. So erscheinen die in Clips of Slips verwobenen
Enactments facettenreich verwoben mit den Installationen von Tie or Untie und NOFF und lassen Waldes komplexes Vice-versa aus Konzentration
und Verstreuung als „mustergültige" Rezepturen im Umgang
mit der Wirklichkeit des Alltäglichen wie mit deren möglichen Transfers
in die/in der Kunst aufscheinen.
„Manche Arbeiten hätten regelrecht das Potential, sich in Rituale zu verwandeln,Wissenschaftsrituale etwa... und dann reagiert das Ding völlig anders." (11) Rituale sind fest gefügte Handlungsanweisungen. Wissenschaft folgt festgelegten Zielen. Doch selbst die Wissenschaft unterscheidet – um die Grenzen ihres derzeitigen Erkenntnisvermögens wissend – zwischen zielgerichteten Praktiken und einer prinzipiell ergebnisoffenen Grundlagenforschung. Dem Künstler steht es frei, das Wissenschaftsritual in ein experimentelles Spiel zwischen festgelegter Handlungsanweisung und offenem Ausgang zu überführen. In Tie or Untie wie in NOFF sind die Besucher explizit als partizipierende Forscher eingebunden. (12) Dem flexiblen Seil ist eine Vielzahl von Handlungsmöglichkeiten implizit. Dem starren Acrylband nur eine einzige. Es sind physikalische und chemische Prozesse, die sich so oder so in Gang setzen lassen, üblicherweise darauf gerichtet, eine funktionierende Ordnung herzustellen. Im vorbehaltlosen Wechselspiel zwischen den Handlungsweisen der von je anderen kulturellen Gewohnheiten abhängigen Besucher und den Möglichkeiten eines banalen Rohstoffs aus dem Alltag verdichtet sich im Seileberg wie im Lockenhaufen eine poetische Balance zwischen chaotischen Zuständen und harmonischen Bewegungen in den
Handlungen wie in der Form.
(11)
Martin Walde im Gespräch
mit Jens Asthoff, ebd., S. 6H.
(12)Zur Partizipation des Besuchers
in Waldes Werk siehe
auch Maia Damianovic, ebd.
S. 12 ff.
Für die Videoinstallationen sind es die im Alltag aufgelesenen Fragmente 
(Fortsetzung nächste Seite)
