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    Etwas evolutionär offen lassen... | Jens Asthoff  
   
  Martin Waldes Arbeit als performative Interaction  
   
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Kreisförmig und blickdicht aufgeschüttetes, pulvriges Weiß, kaum einen Zentimeter hoch – die Arbeit Wormcomplex (1997), ein Zirkel von rund vier Metern Durchmesser, machte sich flach und war an gut besuchten Tagen zunächst nur indirekt anhand der Menschen zu erkennen, die um sie herum Spalier standen, sich nach vorne drängten, angezogen durch jenes scheinbar leere Zentrum, von dem nicht ganz klar war, um was es sich eigentlich handelt. Auf der weißen Fläche prangte ein dezentral projizierter, blassgrüner Fleck, der die äußere Kreisform verkleinert wiederholte und so mit allereinfachsten Mitteln abstrakte Komposition anzudeuten schien. Tatsächlich hätte man diesen Beitrag Martin Waldes zur documenta X auf den ersten Blick gut für spröde sockellose Plastik halten können, stringent nach minimalistischen Standards organisiert und mit einem farbig körperlosen Kontrapunkt versehen. Und doch blieb hinreichend Irritation: Für zeitgemäßen Minimalismus erschien das reduktionistische Werk ein wenig zu verwahrlost, seine Kontur war stellenweise verwischt, im Inneren war es von Finger- oder gar Fußspuren offenbar distanzloser Betrachter gezeichnet. Wie es hieß, waren solche „Übergriffe" nicht einmal verboten. Ganz klar war das aber nicht, es gab keine ausdrücklichen Hinweise, und das Aufsichtspersonal reagierte darauf uneinheitlich. So musste man letztlich selbst entscheiden, wie man sich zu diesem Werk verhalten wollte oder glaubte verhalten zu müssen.

 
Wormcomplex S.1–3,6  
Tie or Untie S.2,5,6  
The Key Spirit S.3  
Woobies S.3  
NOFF#1#2#3#4 S.3,7–9  
Handmates S.4  
Jelly Soap S.4  
Clips of Slips S.4, 6  
Der Regen hat eine angenehme Temperatur  
S.4  
Woobie #2 S.6  
NOFF #4 S.6–9  
Enactments S.6  
Loosing Control S.6  
The Thin Red Line S.7-9  
Can you give me something? S.7  
The Tea Set S.9–10  
  Spätestens beim Erfassen der ungewöhnlichen Stofflichkeit der Arbeit war eine bloß formale Deutung allerdings passé: Die monochrome Substanz entpuppte sich als ein Grundnahrungsmittel, nämlich Mehl, und sie enthielt noch einen ganz speziellen Zusatz: Walde hatte in dem Areal ein paar hundert Mehlwürmer ausgewildert und auf diese Weise das formell abstrakte Kreisgefüge nonchalant ins zirkulär begrenzte Biotop verwandelt. Damit aber änderte sich die Wahrnehmung des Werks ums Ganze – es war nicht länger bloß das autonome „ästhetische Objekt", sondern hatte immanente Dynamik und bildete insofern eine wechselseitige, quasi osmotische Demarkation zweier Sphären, genauer: Lebensräume, aus. Die plötzliche Einsicht in die wahre Natur des Werks forderte einen veränderten Blick und in der Folge auch ganz unterschiedliche Reaktionen heraus. Die Distanzen mutierten, die „Betrachter" wurden zu Beobachtern und, mehr noch, zu Beteiligten: In ihrer exponierten Lage waren die Larven einerseits ja regelrecht zu Füßen der Besucher eingekreist, zugleich aber durch nichts als ihr Nahrungssubstrat festgehalten.  
   
   
     
   
   
   
 
 
 
 
 
 
AutorInnen:  
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